Hat sich die Parteien-Demokratie wirklich überlebt?

Nachdem der #Oberbürgermeister der Großen Kreisstadt #Grimma das Ende der „Parteien-Demokratie“ (LVZ vom 22.01.2019) ausgerufen hatte, erreichte uns die Meinung eines ehemaligen Stadtrats der Großen Kreisstadt Grimma, Herrn Rechtsanwalt Ralf Kühne. Der Leserbrief der an die Redaktion der LVZ gesandt wurde, ist dort nur auszugsweise (LVZ vom 29.01.2019) wiedergegeben worden. Bereits am 25. Januar 2019 hatte sich der Kreisvorsitzende der CDU des Lankreises Leipzig, Herr MdL Georg-Ludwig von Breitenbuch, in einer Pressmitteilung zu den Aussagen des OBM Berger geäußert.

Hier der vollstängige Leserbrief der Herr Rechtsanwalt Kühne:


Grimmas Oberbürgermeister: „Die Parteien-Demokratie hat sich überlebt“

Das Gesicht der Kampagne „Freie Wähler in den sächsischen Landtag“ knallt die Fakten auf den Tisch und seine Erkenntnis für die Zukunft der Demokratie hinterher. En Marchè a la Sachsen ist auf dem Weg. Allerdings wird durch Herrn Berger ziemlich unreflektiert dem ganzen Übel ein Name gegeben: Parteien-Demokratie. Die dazu abgegebenen Erläuterungen überzeugen nicht. Unreflektiert und wenig untersetzt wird dabei davon ausgegangen, dass der Freistaat Sachsen zunehmend von politischen Akteuren ohne eigene Lebensleistung geführt würde. Mag es dazu vielleicht sogar das eine oder andere Beispiel geben, wird daraus weder eine Regel noch eine Tendenz auf die kommenden Jahre. Zumal dabei eine Definition der zu erbringenden genehmen Lebensleistung nicht beigesteuert wird. Ist es ausreichend, drei, vier oder fünf Jahre in seinem Beruf gearbeitet zu haben, um anschließend dann über eine lange Zeit ein politisches Amt ausüben zu dürfen? Ist ein jahrelang ausgeübtes politisches Amt an sich schon geeignet, dieses im Kontext der getätigten Behauptung als Lebensleistung in die Waagschale werfen zu dürfen? Oder wird man mit der Dauer der Ausübung eines Wahlamtes irgendwann auch als Berufspolitiker einzuordnen sein?

Und was anderes ist eine Freie Wählervereinigung als letztendlich doch auch nur eine ganz normale Partei? Die Strukturen mögen vielleicht nicht ganz so stringent und engmaschig auf Hierarchien ausgerichtet sein. Letztendlich bedarf es selbst zur Führung einer Partei „Freie Wähler“ einer gewissen Hierarchie, um eine vernünftige Politik zu machen, die sachbezogen und effizient daherkommt. Für eine solche vernünftige, sachbezogene und effiziente Politik reicht es gerade nicht aus, nur eine Fahne mit der Aufschrift „Freie Wähler“ vor sich her zu tragen. Anscheinend soll auch das Gefühl vermittelt werden, dass sich unter dem Dach Freie Wähler immer per se die besseren Menschen, die besseren und sachkundigeren Politiker versammeln, die einzig den Interessen der Bürgerinnen und Bürger verpflichtet sind. Und dass es dabei nicht darum gehe, etwas werden, sondern etwas bewegen zu wollen. Weshalb, dass nicht auf die Frauen und Männer zutreffen soll, die sich für ein Mandant in den kommunalen Parlamenten oder für den sächsischen Landtag über die sogenannten „Altparteien“ bewerben, ist dabei nicht erkennbar. Es entspringt nur der falschen Annahme, dass die Mehrheit der Kandidatinnen und die Kandidaten der Altparteien keine Lebensleistung vorzuweisen haben, um über ihr Parteibuch etwas werden zu wollen. Bei allen unterschiedlichen politischen Ansätzen, bei allen in der Vergangenheit auch gemachten Fehlern durch die im Freistaat Sachsen Handelnden muss sich der Freistaat Sachsen im Wettbewerb zwischen den Bundesländern nicht verstecken. Das gelingt nicht nur mittels Parteibuch-Politik. Natürlich kann man auch in Sachsen einiges anders und auch besser machen. Das gelingt nur über den Streit der Meinungen und dem sich Auseinandersetzen mit unterschiedlichen politischen Ansätzen, sei es im Landtag oder auch in den Kommunalparlamenten. Will man weniger auf „reinpolitische Lebensleistungen“ abstellen, sollte eher darüber nachgedacht werden, ob man Amtszeiten und Mandate zeitlich befristet. Hier einen Wechsel und damit politische Bewegung reinzubringen, macht tatsächlich Sinn und verschafft allen Betroffenen die Möglichkeit, sich vor und nach ihrer Amtszeit oder ihrem Mandat auch noch eine „Lebensleistung“ zu erarbeiten. Anstatt sich über eine Parteien-Demokratie Gedanken zu machen, sollte man nicht eher über den Begriff der Verwaltungsdemokratie nachdenken. Ist es nicht doch oftmals gerade in den kommunalen Parlamenten Handlungsmaxime über das zu entscheiden, was der Bürgermeister und seine Verwaltung in das Parlament an Themen, Problemen und entscheidungsbedürftigen Sachverhalten einbringt? Es lohnt sich darüber Gedanken zu machen, wie die Parlamente gestärkt und ermutigt werden können, selbst proaktiv Politik in der Kommune zu gestalten. Das dürfte eher eine Überlegung wert und ein durchaus legitimes Mittel sein, um Demokratie, Bürgerwillen und Bürgereinsatz zu stärken. Letztendlich soll sich im Stil der gleichen Wahl der Mittel der Kreis beischließen. En Marchè hat gezielt um Politikneulinge geworben und war damit erfolgreich. Aber die Krux ist nun, wie bisher das tradierte Wissen als Abgeordneter zu Aufnahme und Wahrnehmung unterschiedliche Interessen von Bürgerinnen und Bürgern im eigenen Wahlkreis austradiert und im Parlament in politisches Handeln umsetzt wird. Es scheint im Zeitalter von En Marchè nicht (immer) mehr zu gelingen. Dies mag für eine politische Hygiene am Althergebrachten gut, mag auch möglicherweise schlecht sein. Letztendlich dürfte als Ergebnis dieser neuen Politik in Frankreich, die Gegenbewegung der sogenannten Gelbwesten entstanden sein. Ist das der Ansatz auch bei dem Ruf Freie Wähler in den Landtag? Dazu kommt die gern (auch in Deutschland) erhobene Maxime, die Parteien und Abgeordneten sollten doch nicht immer streiten, sondern einfach das Richtige, das Notwendige und das Vernünftige tun. Aber was ist das Richtige, Notwendige und Vernünftige und was ist besser als der Widerstreit unterschiedlicher Meinungen? Dies lässt sich nicht wirklich feststellen. Politik, selbst Kommunalpolitik, lässt sich nicht nur mit dem gesunden Menschenverstand betreiben. Weder in Sachsen noch in der Stadt Grimma haben wir eine Partei-Demokratie. Würde man das Bestehen einer Parteien-Demokratie bejahen, wäre es dann heruntergebrochen auf die Stadt Grimma nach der Bergerschen-Lesart eine „Partei-Demokratie der Freien Wähler“. Wirklich? Am Ende wird es nicht reichen, nur ein Gesicht von etwas zu sein, wenn man nicht selbst in die Verantwortung geht. Es wäre schon interessant zu sehen, was dann das Gesicht der Freie Wähler Berger im Land bewegen wird. Denn die Begründung, sich nicht der Verantwortung für das Land zu stellen, überzeugt ebenso wenig.  

Ralf Kühne


Anm: Die Lesermeinung des Herr Rechtsanwalt Kühne stellt kein offizielles Statement der CDU-Grimma dar.